Vom Suchen und Finden der Bilder - ein Prozess / von Anke Schmich

10.04.2014 15:13

Bei Kerstin Müller-Schiel wird es dem Betrachter nicht ohne weiteres gelingen, ihre Arbeiten – und hierbei vor allem ihre Tuschearbeiten – ausschließlich der Malerei oder der Zeichnung zuzuordnen. Das tut aber auch nicht Not, denn es geht nicht um ein „Entweder–Oder“, sondern um die Möglichkeiten, Vorzüge und Bedingungen, die sich durch ein Miteinander der beiden Gattungen offenbaren. Diese gilt es zu erkunden. 

Grundlage für ihre Werke sind selbst aufgenommene Fotos, die sie für ihre lasierenden Tuschmalereien und Arbeiten mit Öl und Acryl auf Papier stark abstrahiert. 

Die Malgründe werden in der Regel nicht als strukturierte Hintergründe ausformuliert, sondern als unbehandelte Flächen ausgespart. Sie umrahmen die dargestellte Figur, das Einzelporträt. Der Untergrund, hier das Papier, wird darüber hinaus nicht nur als aktiver Freiraum im Bild belassen. Er hebt das Sujet optisch hervor und durchdringt darüber hinaus auch gerade in den Tuschmalereien die fazialen Strukturen der Gesichter. Diese – für ihr Gesamtoeuvre übrigens untypisch – lassen recht eindeutige physiognomische Merkmale erkennen. 

Normalerweise geben ihre Protagonisten ihre Identität nicht eindeutig preis, sie verharren in ihrer Entpersonalisierung und ermöglichen so dem Betrachter die emotionale Identifikation mit den dargestellten Personen.  

Kerstin Müller-Schiel erweist sich hier als eine Meisterin des Stilisierens, des Minimierens, der Reduktion von Linie und Fläche. Virtuos setzt sie Licht und Schatten in geheimnisvolle Relationen – oft erst auf den zweiten Blick erfasst der überraschte Betrachter die gesamte Bildkomposition, die Situation der Figur im Raum. 

Natürlich bleibt es unstrittig, dass die Figuren in einigen Werken zentral in den Mittelpunkt gerückt werden, doch genauso findet man die lebendige, asymmetrische Setzung. 

Die Figuren, meist nur Gesicht und Schulterpartie zeigend, oft allenfalls bis zur Brust angedeutet, generieren sich aus wenigen, sehr genial gesetzten Strichen und Flächen. 

Die intuitive Erfassung inhärenter Eigenschaften offenbart sich in ihrem professionellen Duktus, ihren sicher gesetzten Pinselschwüngen, ihren grazilen Linien und mal mehr und mal weniger massiv ausgeführten Flächen. 

Die ureigentliche Authentizität des Sujets bleibt nicht länger gekoppelt an die Identität der dargestellten Person, sondern wird emotional übertragbar und ermöglicht es dem Betrachter im besten Falle eine persönliche Bindung aufzubauen. 

Der Verismus alltäglicher, situationsbedingter Momente lässt eine spannungsgeladene Intimität aufkommen, die, geprägt von Melancholie und Introvertiertheit, dem Beobachter in schonungslosem Purismus entgegentritt. 

Textauszug aus dem Katalog 3komma8

 
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